Zeiten ändern nichts

Die CSU kämpft um Stimmen im Bundestagswahlkampf. Besonders die Maskenaffäre führte erneut zu massiven Vertrauensverlusten – aber seit Jahren ändert sich nichts.

In der Ingolstädter Altstadt gibt es ein Gebäude, welchem man seine turbulente Vergangenheit kaum noch ansieht. Ein dreistöckiger moderner Wohnungskomplex; strahlend weiß, große grünbepflanzte Balkone: das ehemalige Ingolstädter Klinikum. Hier lebt auch Alfred Lehmann, ehemaliges CSU-Mitglied und Ex-Oberbürgermeister von Ingolstadt. Verabschiedet wurde er 2014 von Horst Seehofer vor rund 600 Gästen mit den Worten: „In der Politik ist Vertrauen die einzige Währung. Dieses Vertrauen hast du dir bei den Bürgern in besonderem Maße erworben.“ Spätestens seit 2019 ist aber klar: Das Vertrauen, welches Lehmann über zwölf Jahre erwarb, ist verloren und mit ihm auch ein Stück des Rufs der CSU. Eigentlich sollte der Auftrag für den Umbau des Klinikums zu Wohnungen ausgelost werden. Als Oberbürgermeister wählte Lehmann den Bauträger aber selbst aus – als Anwohner bekam er die Wohnung dann vergünstigt, um rund 300.000 Euro. Auch bei einem weiteren Bauprojekt konnte er sich in seiner Rolle als Oberbürgermeister persönliche Vorteile verschaffen. Am 22. Oktober 2019 erhielt er dafür eine zweijährige Bewährungsstrafe wegen Bestechlichkeit und Vorteilsnahme im Amt. Erst 2020 trat er dann selbst aus der CSU aus.

Die Stadt machte Lehmann zu seinem eigenen „Bürgerkonzern“, der Stadtrat existierte nur nebenher. Transparenzvorschläge von diesem sind über die Jahre hinweg immer wieder blockiert worden, teils unter lautstarker Aufregung – von der CSU.

Mit solchen Problemen ist die CSU in Ingolstadt allerdings nicht allein. Besonders die so genannte Maskenaffäre um die Abgeordneten Georg Nüßlein und Alfred Sauter rückte den Fokus erneut auf die überregionalen Transparenzprobleme der Partei. Sie sollen bei Maskendeals über 1,8 Millionen Euro an Provision bekommen haben – denn, die FFP2-Masken haben sie über eigene Kontakte an das Gesundheitsministerium vermittelt. Ob das Geschäft illegal war, untersucht die Generalstaatsanwaltschaft noch. Betrogen von der Selbstbereicherung fühlten sich viele Bürger trotzdem: Die Umfragewerte der Union im Bundestagswahlkampf sackten im März um rund 12 Prozentpunkte ab, von 38 zu knapp 26 Prozent. Wieder fangen konnte die „Volkspartei“ sich seitdem nicht mehr. Gleich im März reagierte die CSU mit einem Zehn-Punkte-Plan für mehr Transparenz. Auf einer Pressekonferenz präsentierte Markus Söder stolz die „neuen Regeln“ für den „neuen Geist“ der CSU. So etwas dürfte nie noch einmal passieren, sagte Ralph Brinkhaus, der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion bei Markus Lanz.

Einen Plan zur Affären-Vorbeugung gab es allerdings bereits: Ein achtseitiger Verhaltenskodex für CSU-Politiker wurde 2013 als Reaktion auf die Verwandtschaftsaffäre im Bayrischen Landtag entwickelt. 79 Abgeordnete beschäftigten hier Verwandte auf Staatskosten – 56 davon waren aus der CSU. Schon im ersten Absatz heißt es im Kodex: „Der Politiker muss unabhängig und unbestechlich sein.“ Auf Seite sieben folgt: „Die Stellung als Mandatsträger darf nicht für private Zwecke ausgenutzt werden.“ Bei ehrlicher Anwendung des Verhaltenskodex hätte die Maskenaffäre zumindest bei der CSU nicht passieren können. Ansprechpartner für Auslegungsfragen des Kodex war dabei ein Compliance-Ausschuss. Ein Ausschuss, der nie tagte. Bleibt der Zehn-Punkte-Plan, ähnlich wie der Verhaltenskodex von 2013 eine leere Versprechung für den Bundestagswahlkampf?

Am Nürnberger Dutzendteich vor dem Reichsparteitagsgelände steht ein alter blauer Feuerwehrbus; mit Campingvorzelt, weißen Stehtischen und einem ständigen Gewusel zwischen vorbei spazierenden Passanten und Menschen in CSU-blauen T-Shirts die Kugelschreiber, Notizblöcke, und Flyer verteilen. Für die wenigen die stehen bleiben, gibt es CSU-Luftballons, Cappuccino und ein Foto mit Sebastian Brehm, Bundestagsabgeordneter der CSU für den Wahlkreis Nürnberg-Nord. Die Liste der Einkünfte durch Nebentätigkeiten führt er seit Jahren an. Mehr als drei Millionen Euro Umsatz gibt er auf der Bundestagsseite für seine Steuerberatertätigkeit seit Beginn der Legislaturperiode 2017 an. Allerdings müssen die Abgeordneten hier den Bruttoumsatz, nicht den Gewinn verzeichnen. Bei 25 Mitarbeitern würde ein durchschnittlicher Nebenverdienst übrigbleiben, meint Brehm. Auch ihn hätten damals Maskenfirmen angeschrieben, er hätte diese einfach weitergeleitet – ohne eine Provision zu erhalten. Er redet, auch an seinem “Brehm.mobil“, offen über seine hohen Nebeneinkünfte. „Der Zehn-Punkte-Plan ist nichts neues; wir hatten bereits einen Verhaltenskodex. Aber irgendwie musste man reagieren. Wie steht man sonst als Partei da?“  Er setze sich für klarere Regeln ein. Mehr Transparenz stände im Interesse aller.

Trotzdem stimmt die Union seit Jahren geschlossen gegen Transparenzvorschläge anderer Parteien: 2005 gegen einen Antrag, welcher die ungefähre Angabe von Nebeneinkünften Angeordneter forderte; 2012 hieß es in einer „Aktuellen Stunde“ der Grünen, welche mehr Transparenz forderten, von der CDU/CSU: mehr Transparenz ergebe gegenüber der Öffentlichkeit „keinen Mehrwert“; und auch 2018 stimmte die Union gegen mehr Transparenz – in Form des lang geforderten Lobbyregisters.

Am „Brehm.mobil“, dem blauen umgebauten Feuerwehrbus, reden die Menschen aber über andere Themen – besonders über lokale Angelegenheiten. Über die Maskenaffäre spricht kaum jemand. Die Probleme rund um Transparenz und Affären scheinen bereits im Frühling zurückgelassen und vergessen.

Deswegen fühlen sich inzwischen andere zur Aufklärung verpflichtet. Internetseiten machen auf das historische Ausmaß der Skandale und Verfehlungen rund um die Union aufmerksam. Seiten wie „lobbyunion.de“ (betrieben von: Die Linke Pankow) oder „clankriminalitaet.de“ erzählen inzwischen dutzende Skandalgeschichten rund um CDU und CSU in langen Chroniken. Beihilfe zur Steuerhinterziehung, Maskenaffären und ähnliche intransparente Geschäfte ziehen sich durch die Jahre hindurch. „Die schiere Menge korrupter Politiker über viele Jahre lässt in Verbindung mit dem fehlenden Aufklärungswillen und dem Verhalten der Parteiführung unserer Ansicht nach keinen anderen Schluss zu, als dass es weit über Einzelfälle hinausgeht“, teilt Nathan Mattes, Begründer der Seite „clankriminalitaet.de“, auf Anfrage mit. „Die Idee hinter ‚Clankriminalität‘ ist es, Fälle zu sammeln, sie Wählern und Gesellschaft ins Gedächtnis zu rufen und dem ohrenbetäubenden Schweigen der Parteien etwas entgegenzusetzen.“

Die Umfragewerte der CSU sind seit März kaum wieder angestiegen. Der Graph zeichnet vielleicht auch den langsamen Fall einer bayrischen Volkspartei ab – und den des Vertrauens in ihre Abgeordneten. Ob die Maskenaffäre sich auch nachhaltig auf die Bundestagswahl auswirken wird, bezweifeln aber viele Experten.

Die möglichen Auswirkungen von Skandalen zeigten sich zumindest bei den Ingolstädter Kommunalwahlen im letzten Jahr: Die CSU verloren mit ihrem amtierenden Oberbürgermeister Christian Lösel rund 18 Prozent an Stimmen. Nach fast einem halben Jahrhundert stellt die CSU nun nicht mehr den OB Ingolstadts. Der Klinikums-Skandal rund um Ex-Oberbürgermeister Lehmann trägt wohl eine erhebliche Mitschuld an diesem Verlust, wohl aber auch Christian Lösels fehlende Aufarbeitung des Falls. Statt den Skandal rund um Lehmann intern aufzuklären, posierte er offenbar lieber mit Andreas Scheuer, Dorothee Bär und Reinhard Brandl vor dem Flugtaxi „CityAirbus“, und scheute sich vor Stammtischen und Bürgertreffen. Er habe selbst als rechte Hand von Lehmann, nichts gewusst. Geglaubt, hat Lösel das fast niemand. Man war stolz auf die „Wirtschaftskompetenz“ – verlor dabei aber die Bürger aus den Augen. „Für Investoren wurden alle möglichen Grundstücke bereitgestellt und für den Gemeinbedarf nicht vorgesorgt. Es ging dabei immer nur ums Städteranking“, meint Manfred Schuhmann. Seit fast 50 Jahren sitzt er für die SPD im Stadtrat Ingolstadts.

Wenn man heute bei Alfred Lehmann klingelt, meldet sich nur seine Frau. Lehmann ist im Urlaub. Ich frage, ob ich meine Telefonnummer in den Briefkasten werfen kann, falls sich Lehmann zurückmelden möchte. Es gehe um die CSU. „Das können Sie gerne machen. Ich werde meinem Mann allerdings empfehlen, sich nicht bei Ihnen zu melden.“

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