Die Tiere nebenan

In deutschen Wohnzimmern schlängelt sich die Python, klettert der Weißbüschelaffe und schläft der Polarfuchs. Häufig wird das Interesse am Fremden aber zum Problem – für Mensch und Tier.

Auf einer der hunderten Autobahn-Raststätten in Deutschland halten sie an. Rattern und Poltern hören endlich auf. Sie liegen in der Finsternis; dicht an dicht gekuschelt. Der Kofferraumdeckel öffnet sich. Das Sonnenlicht sticht hinein und blendet die jungen Tiere. Nur zwei Silhouetten diskutieren über den Preis. „Finja“ wird zwischen den 15 anderen kreischenden Polarfuchswelpen herausgezogen und von einer Frau in das nächste Auto gesetzt. Sie fahren zu der Frau nach Hause. Doch auch hier wird Finja nicht lange bleiben. Nach einem Tag wird sie wieder in ein Auto getragen, von einer Tierschützerin. Die Käuferin sah schnell ein, dass sie mit dem Kauf einen Fehler gemacht hatte. Auf dem Beifahrersitz gelangt sie nach Ansbach – ins Raubtier- und Exotenasyl, nur hier erfährt man von Tierpflegern, von Finjas Geschichte.

Wo ihre Brüder und Schwestern geblieben sind, weiß niemand. Vielleicht fuhren sie noch eine Weile im Kofferraum irgendwo auf der deutschen Autobahn herum, vielleicht sitzen sie inzwischen auf irgendeiner Couch oder wurden in die Natur ausgesetzt.

Jedes Jahr landen so tausende exotische Tiere irgendwo in deutschen Haushalten; manche legal, manche illegal. Darunter Primaten, Raubkatzen, Reptilien und Vögel; teils aus deutscher Zucht, teils als Wildfang aus dem Ausland importiert. Internet-Anzeigen für Krallenaffen, Raubkatzen, und Vogelspinnen sind längst keine Seltenheit mehr. Die Tiere befüllen dabei nicht nur Terrarien in Kinderzimmern: Weißbüscheläffchen klettern über Gardinenstangen, und auf dem Bett wird sich an afrikanische Servals gekuschelt. Aber wie viele Exoten genau in Deutschland leben, lässt sich nur schätzen. Genaue Zahlen werden nur für Reptilienimporte erfasst. Allein 2020 wurden so 360.000 importierte Reptilien erfasst . Ob man die nötigen Auflagen für die Haltung erfüllt oder die nötige Sachkunde für die oft giftigen und gefährlichen Tiere hat, danach erkundigt sich häufig niemand.

Die Regelung zur Haltung der Exoten ist Ländersache. In sechs Bundesländern gibt es gar kein Gefahrtiergesetz, in Bayern brauchen die Halter dagegen einen Sachkundenachweis, ein „berechtigtes Interesse“ und ein vom Veterinäramt abgenommenes Gehege. Was als „berechtigtes Interesse“ gilt, wird vom Gesetz aber nicht weiter definiert. Solche Reglementierungen kosten; darum besorgen viele sich die Tiere lieber illegal: im Internet. Vielfältig und unübersichtlich ist der Markt hier – auch für die Behörden. Beschlagnahmungen bleiben oft nur Zufälle. Offizielle Zahlen gibt es nicht.

Auch das 13-jährige Luchsweibchen Anubis, war ein solcher Zufallsfund. Geboren in einem Wildpark, lebte sie bis zu einem Alter von fünf Monaten in einem kleinen betonierten Käfig bei einer Privatperson. Dann wurde sie illegal verkauft und in ein neues Zuhause aufgenommen. Hier hatte sie ein 150 Quadratmeter großes Freigehege; dreimal größer als vom Säugetiergutachten des Bundesministeriums vorgeschrieben. Knapp vier Jahre lebte sie hier. Nur durch Zufall sah ein Rentnerehepaar sie bei einem Spaziergang. Sie meldeten in einem Waldgrundstück einen Puma gesehen zu haben. Erst jetzt wurde Anubis aktenkundig, denn die nötigen Genehmigungen für die Haltung hatten ihre Besitzer nie. Nur wenige Tage später wurde der Luchs vom Veterinäramt beschlagnahmt. Die Halter kooperierten und suchten ihr ein neues Zuhause; das Raubkatzenasyl Ansbach. Das Wohl von Anubis war ihnen am wichtigsten. Inzwischen leben im Asyl über ein duzend Tiere. Darunter auch drei Tiger – Nachfahren aus einem Zirkus.

„Ich würde sagen 99 Prozent aller Menschen, die sich diese Tiere halten, sind für Artenschutz und lieben ihre Tiere“, meint Tierarzt Hermann Kempf, Leiter der Wildtier- und Exotenpraxis in Augsburg. Schon seit seiner Kindheit beschäftigt er sich mit exotischen Tieren. Jahrelang war er stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Wildtier- und Exotenmedizin. Inzwischen hat er seine eigene Praxis und ist immer wieder bei Zwangsbeschlagnahmungen dabei. „Es gibt durchaus sehr ambitionierte Privathalter, die wesentlich bessere Haltungen und Zuchterfolge haben als zum Beispiel Zoos.“ Dieses Interesse reiche von privater Krokodilhaltung, zu Raubkatzen, bis hin zu Tieren, vor denen sich die meisten ekeln: Spinnen.

„Ich finde Spinnen faszinierend. Wie sie ihre Höhlen bauen und diese dann sauber halten; und jede Art ist anders.“ Martin F.* hält in seiner Duisburger Wohnung inzwischen um die 20 giftige Vogelspinnen und zwei König-Pythons. Die Terrarien gestaltet er so naturähnlich wie möglich. Wachsen die Tiere, wächst auch das Terrarium. Für jede Spinne ein eigenes. Einmal die Woche werden die Tiere gefüttert. Er setzt die Heimchen ins Terrarium und schaut zu wie die Spinnen fressen. „Das ist kein Hund, zum Rausnehmen und Spielen. Das ist einfach etwas zum Zugucken.“ Nebenbei verkauft er auch einige seiner Vogelspinnen völlig legal über Internetportale. Wie er sagt: nur an Halter mit Erfahrung. Ob und wie er diese Erfahrung prüft, ist unklar.

„Teilweise findet man unter diesen Haltern, richtige Hobbybiologen. Die haben einfach eine Faszination mit dem funktionierendem Ökosystem in ihrem Wohnzimmer“, sagt Tierarzt Hermann Kempf. Andere legen sich aus emotionalen Bedürfnis Exoten zu, oder den Exoten welcher sie schon immer fasziniert hat. Reptilien werden zusätzlich oft als „einfache, kostengünstige Alternative“ zum Hund angeboten. Oder als Tierhaarallergie Alternative. Besonders verschleißreich hierbei: Schildkröten und Bartagamen.

Auch Mathias S.* aus Augsburg besorgte seinem Sohn damals als Hund- und Katzen-Ersatz zwei Bartagamen. In der Hoffnung sie mache weniger Arbeit und renne nicht mit dreckigen Pfoten über Teppiche. Seit fünf Jahren leben diese inzwischen im Terrarium im Kinderzimmer und vermehren sich; auch er verkauft den Überschuss an jung Tieren einfach Online. „Wirklich pflegen tut mein Sohn sie auch nicht mehr, aber er nimmt sie oft aus dem Terrarium und streichelt sie.“

„Mit sozialer Liebe können Bartagamen recht wenig anfangen. Die richtige Temperatur, das richtige Licht, das richtige Futter und Ruhe. Dann sind sie zufrieden.“, sagt Hermann Kempf. Besonders bei vermeintlichen Tierliebhabern sehe er oft Haltungsdefizite. Häufig projizieren diese menschliche Emotionen auf die Kaltblüter. „Auch die Oma, die das Weißbüscheläffchen im Vogelkäfig hält und mit Zwieback und Leberkäs füttert, liebt ihr Tier sicherlich.“ Solche Sachen sehe er häufiger; artgerecht oder legal sei dies allerdings keinesfalls. Für wieder andere gehöre der Hyazinth-Ara einfach als Dekoration in die Wohnzimmerecke gestellt, meint Kempf. Als Statussymbol krächzt er dann neben Meerwasseraquarium und teuren Kunstwerken vor sich her. „Menschen mit viel Geld legen sich auch gerne mal etwas zu, wovon sie keine Ahnung haben“, so Hermann Kempf. Das reiche allerdings von Hund, zur Katze bis hin zu den Exoten.

Auch die Ausbrüche der exotischen Mitbewohner stellen immer wieder ein Problem dar:

15. Februar 2021, Köln: Ein 10-Parteien-Haus wird wegen einer ausgebrochenen giftigen Korallenschlange evakuiert.

27. August 2020, Baden-Württemberg: Die zwei Meter lange Boa Constrictor „Loki“ bricht schon zum zweiten Mal aus und muss von der Feuerwehr eingefangen werden.

Am gleichen Tag, Niedersachsen – Zwei entlaufende Schildkröten werden aufgefunden.

Auch vorbildliche Haltungen sind von solchen Fällen nicht ausgenommen. Auch wenn es selten passiert: wenn die Tiere jemanden verletzen, haftet der Besitzer. Die zunehmenden Internetverkäufe durch Privathändler, ohne Frage nach Sachkunde oder zukünftigen Haltungsbedingungen gefährden so nicht nur das Tierwohl, sondern auch die Menschen. „Die Faszination, das Fremde oder Besondere direkt bei sich zu haben, zum Ranflauschen, macht da Probleme wo nicht weitergedacht wird“, meint Sabrina Sax, Tierpflegerin im Exotenasyl Ansbach. „Eigentlich muss man sich erstmal selbst fragen: Tu ich dem Tier etwas Gutes indem ich es halte?“ Wenn man es nur für sich und sein Ego mache, gehe es den Tieren oft nicht gut. Und wenn Tiere vernachlässigt werden, geht es nicht nur ihnen schlecht, sie werden auch zur Gefahr für andere.

*: Namen wurden auf Wunsch der Protagonisten geändert.