Geocaching unter Ingolstadt

Kriechen, ekeln, suchen und vielleicht auch finden. Ohne GPS, ohne Karte und ohne Tipps geht Leon Avelino Diaz geocachen im dunklen Ingolstädter-Untergrund.

14:00 Uhr, ein kalter Herbsttag. Eine dichte Nebelwand schiebt sich über den Campus der Hochschule. „Die App zeigt an, es soll genau hier sein, aber halt unter der Erde. Aber keine Ahnung, wie wir da hinkommen.“

Wo allerdings der Zugang zu dem unterirdischen Cache liegt, ist unbekannt. Nur selten verraten die ‚Owner‘ (Besitzer) die genaue Position oder die Form ihres Geocaches. Man sucht nach Tupper- und Filmdosen, Zipperbags oder sogar nur nach einem QR-Code. Die Welt des Geocaching ist schon lange nicht mehr beschränkt auf Nerds mit GPS-Trackern, die in Foren nach Koordinaten recherchieren. Menschen wie Leon Avelino Diaz (19) lieben Abenteuer, Spannung und entdecken die unbekannten Seiten ihrer Stadt.

Nach einer halben Stunde findet Leon den Eingang. Ein kleiner schwarzer Schlitz kontrastiert das bunte Laub auf dem Boden.
Vorsichtig lugt Leon in das Loch. Eine ungewohnte Hitze schlägt ihm aus der Dunkelheit entgegen. Der November ist da unten wohl noch nicht angekommen.

Er hangelt seinen Rucksack durch die halbzubetonierte Öffnung bis auf den Boden des Tunnels und klettert hinterher. Seinen Kopf schützend versucht er, sich an der Decke abzustützen und sich in den engen Eingang zu pressen. Seine Hand zuckt hastig zurück. „Äääh, hier sollte man sich vielleicht nicht abstützen, hier sind überall Nacktschnecken!“

Seine schleimige Hand wischt er an seinem dunklen Kapuzenpullover ab. Etwa 10 Meter weit kann man sehen, dann verschwindet der Backsteingang in der Dunkelheit. Der Lichtschimmer des Eingangs lässt nur ungewisse Vermutungen darüber zu, wo es hingeht. 

Leon kramt nach seiner Taschenlampe und schwingt dann den Rucksack zurück auf seinen Rücken. Er knipst die Lampe an. Der Strahl der Lampe prescht durch den halbkreisförmigen Tunnel. „Das sieht ja aus wie die Katakomben, als ob sowas genau unter der Hochschule ist.“ Selbst der Lichtkegel der Taschenlampe reicht nicht aus, um das Ende des Tunnels zu erahnen. Scheinbar unendlich lang bohrt sich das Backsteingemäuer unter den Campus.

Neben dem Hauptgang erscheinen kleinere nummerierte Nebengänge. Zehn, Zwölf, Fünfzehn. Alle sind bedruckt. „Was das wohl früher war?“

Leon entscheidet, bei der Suche systematisch vorzugehen. Erst wird der Hauptgang abgeklappert. Nach 500 Metern wächst im Taschenlampenschein etwas Unbekanntes. „Sieht aus, als wäre das hier zusammengestürzt.“ Ein kleines Erdloch, umgeben von Wurzeln und losen Backsteinen, versperrt den Weg. Er bleibt kurz stehen und guckt verunsichert ins Dunkel. „Naja, sind hier ja nicht reingegangen, um nichts zu finden.“ Er schüttelt seinen Rucksack vom Rücken, nimmt ihn in die Hand und krabbelt gebückt durch das Loch. Auf der anderen Seite angelangt, rummelt es heftig im Gang. Ein kurzer Blick auf Google Maps verrät, wieso: „Wir sind, glaub ich jetzt hier, circa unter den Schienen. Ich glaube, das war ein Zug”, sagt er, immer noch die Decke begutachtend. Das Klima auf der anderen Seite des Loches lässt schnell vergessen, dass es fast Winter ist und sein Pullover verschwindet im Rucksack.

Von der Decke ranken haardünne, orange-gefärbte Wurzeln. Die Gänge verwinkeln sich und die Backsteinwände weichen soliden Betonwänden. Die Änderung in der Szenerie kann für Leon nur eines bedeuten: Irgendwo hier ist der Gang zu Ende, irgendwo hier ist der Geocache. In etwa 800m Tunnel hat er jetzt schon durchstreift. Den Ekel vor Schnecken und Spinnen und den Schreck von lautem Zugrummeln überstanden. Jetzt möchte er auch endlich etwas finden.

Aus einem Steinhaufen blitzt im Lichtkegel der Taschenlampe etwas auf: eine blaue Tupperdose. „Ich will echt nicht schon wieder in irgendwas ekliges reinfassen, man.“ Er schnappt sich die Dose und lässt sie auf den Boden fallen. Nichts dran. Er pult den Deckel ab und findet ein ‚Logbook‘ und zwei Kugelschreiber. „Und was schreibt man jetzt hier rein?“

Haben ein bisschen lange nach dem Eingang gesucht, aber hat sich gelohnt. Danke für den Cache!

28.11.2020 – Avedia

Deutlich zielstrebiger als noch auf dem Hinweg geht es nun zurück Richtung Oberwelt. „Wie viele Menschen wohl überhaupt wissen, dass sie sowas direkt unter ihrem Uni-Hof haben?“ Er schlurft Richtung Einsturzloch, duckt sich langsam und rutscht hindurch.

Pfeilgraffitis an der Wand weisen Richtung Ausgang, sie fallen ihm erst jetzt auf. Am Ende des Tunnels überkommt ihn ein Erfolgsgefühl. „Endlich da.“ Das grelle Tageslicht stößt durch die kleine Öffnung und ein kalter Luftzug durchbricht die muffige Kellerluft.